Wenn wir funktionieren, um zu vermeiden!
- rebeccakalina
- 28. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Dieser eine Satz - immer und immer wieder drehe und wende ich ihn in meinem Kopf. Ja, ich kenne dieses Gefühl; «weitermachen, bloss nicht stehen bleiben»!
Dieses Gefühl, dass sich wie ein dunkler Schatten immer und immer näher schiebt und man spürt die drohende Finsternis. Dieser blinde Fleck. Der immer irgendwie da ist, irgendwo im Hintergrund. Man spürt; da wäre eigentlich etwas - aber gleichzeitig läuft einem der kalte Schauer über den Rücken, denn man weiss;
Wenn ich da genau hinsehe – könnte es weh tun!
Ja, ich weiss inzwischen, dass man dieses Verhalten und das ganze Drumherum, auch Vermeidungsstrategie nennt. Man tut etwas, um etwas anderes nicht tun zu müssen. Wir kennen glaube ich alles dieses Gefühl noch aus Studienzeiten; bevor man sich an den Schulstoff setzte, fing man lieber an die Fenster zu putzen. Etwas, was ich sonst niemals tun würde. Das ist eine klar ersichtliche Vermeidungsstrategie und ja, ich denke wir sind uns deren auch bewusst.
Was ist jedoch mit den Vermeidungsstrategien, die ich gar nicht mehr bewusst ausführe? Sondern so verankert und zur Gewohnheit geworden sind, dass sie immer und immer wieder, ohne aktives Zutun passieren? Aus meiner Sicht, die fiesesten Stolpersteine. Und weil mir, wie auch vielen anderen da draussen, wahrscheinlich gar nicht so bewusst war, in welchen Gewändern die Vermeidungsstrategien auftreten können - hier die Gängigsten:
Perfektionismus & übermässiges Funktionieren
Alles muss makellos sein um jegliche Kritik zu vermeiden oder um Unsicherheiten zu verbergen. Pausen sind ein Fremdwort und mit ständig produktiv sein, werden hochkommende Gefühle vermieden.
Rückzug/ Isolation & Ablenkung durch Konsum
Menschen werden gemieden, so dass die verletzlichen Anteile geschützt bleiben. Und den Kontakt mit sich selbst, vermeidet man durch Serien, Social Media, Shopping oder Alkohol.
Harmoniebedürfnis & Überkompensation
Konflikte werden vermieden, um es allen Recht zu machen und die Angst vor Ablehnung zu vermeiden. Durch übermässiges anstrengen, werden die Schwächen überspielt.
Rationalisierung
Alles analysieren und erklären, statt einfach zu fühlen.
Na, bei wie vielen Kreisen konntet Ihr einen Hacken machen?
Ich - kenne sie alle!
Funktionieren, um zu vermeiden – dieses Leben kenne ich zu gut und noch heute ist es für mich schwierig, die richtige Balance zu finden. Denn, ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch, ich liebe es Dinge zu analysieren und habe endlose Energie, die ich gerne rauslasse, ziehe mich aber genau so gerne zurück. Alles keine schlechten Eigenschaften oder Angewohnheiten, nein. Aber eben auch Vermeidungsstrategien. Deshalb ist es so wichtig, genau hinzusehen und vor allen Dingen zu fühlen.
Spüren: Tue ich dies gerade, weil es mir Spass macht oder versuche ich etwas tieferliegendes zu vermeiden?
Und DA kommt der Moment, wo es Mut braucht.
Denn diese Frage setzt voraus, dass man bereit ist, genauer hinzusehen. Woher kommen diese Bedürfnisse? Wieso habe ich das Gefühl, immer makellos sein zu müssen oder dass ich nur liebenswert bin, wenn ich leiste und erfülle? Wieso versuche ich ständig alles und jeden zu analysieren und ein Risikoprofil zu erstellen?
Die Wahrheit – meist haben diese Reaktionen oder eben Vermeidungsstrategien wenig mit dem hier zu tun. Sondern es sind Erinnerungen, oder auch Selbstsicherung genannt. Frühe Erfahrungen, geprägt von dem, was wir gelernt haben, wie Sicherheit, Liebe und Zugehörigkeit funktioniert.
Ich gehörte zur Generation Millennials, stamme aus einer Sportlerfamilie und mein Leben war eher chaotisch als geordnet. Dazu kam, dass ich in einem Dorf aufwuchs, in das ich nie wirklich reinpasste. Dass Leistung wichtiger war als meine kleine zarte Seele, brauche ich, glaube ich, bei diesen Grundvoraussetzungen, nicht zu erwähnen. Meine Art zu Denken unterschied sich immer schon von der Mehrheit und so stand ich ständig in der Kritik, was mein Selbstvertrauen auch nicht besonders unterstützte.
Diese und andere Dynamiken führten dazu, dass ich falsche Glaubenssätze verankerte. Ich nahm an, dass ich nur liebenswert war, wenn ich sehr gute Leistung erbringe und nur wenn ich so funktioniere, wie man von mir erwartete, bekäme ich die Wertschätzung, die ich suchte. Aus Angst die Kontrolle (wieder) zu verlieren, begann ich ständig auf der Hut zu sein, mich anzupassen, einzupassen und so zu sein, wie man mich gerade brauchte. Ich analysierte Verhaltensänderungen bei meinem Gegenüber, auch der kleinste Umschwung in Stimme, Ausdruck oder Gestik nahm ich wahr, um jeglichen Konflikt vermeiden zu können. Ich lernte die Bedürfnisse der anderen sehr schnell zu erkennen und Wege zu finden, diese zu befriedigen. Meine Bedürfnisse, stellte ich hinten an – zum einen kannte ich meine Eigenen gar nicht und zum anderen musste ich zuerst die Ansprüche der anderen erfüllen, denn nur so glaubte ich ja, dass meine Wünsche erfüllt werden würden. Liebe, Anerkennung, Aufmerksamkeit – einfach gesehen werden.
Auf der Suche nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Liebe, versank ich im Sumpf der Vermeidungsstrategien – die mich jahrelang überleben liessen. Doch war es kein Leben!
Als ich dies alles begriff - begriff was hinter meinem Funktionieren, hinter meinem Leistungsdruck, meinem Perfektionismus, meinem People Pleasing steckt - begann der dunkle Schatten sich zu verziehen. Zu verstehen, wieso ich über viele Jahre so handelte, brachte mir Erleichterung und die Verurteilung wich dem Verständnis. Verständnis für mein Verhalten, für meine Verletzungen und meine Art mit meiner Geschichte umzugehen. Es war wichtig, alle meine Gefühle zu leben und diese auch richtig einordnen zu können. Unterscheiden zu können, welche Aktionen ich aus welcher Intention heraus tätige. Tue ich etwas für mich oder tue ich etwas, um jemanden zu gefallen? Noch heute ertappe ich mich dabei, wie ich mich manchmal in Vermeidungsstrategien flüchte, jedoch schaffe ich es heute immer besser zu unterscheiden.
Was ist real? Gehört das in die aktuelle Situation oder geht es hier um eine vergangene Erfahrung? Handle ich aus der gegenwärtigen Stimmung heraus oder springt ein altes Muster an?
Diese Fragen halfen mir Stück für Stück meine Vermeidungsstrategien aufzulösen und sie tuen es auch heute noch. Jetzt wo ich den Unterschied kenne – zwischen Überleben und Leben, weiss ich, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen. Dass es wichtig ist, seine Handlungen und Schutzmechanismen zu kennen, sie von Zeit zu Zeit zu überprüfen und auch den Mut aufzubringen, sie zu verändern.
Vermeiden und funktionieren geht nur eine bestimmte Zeit gut.
Wir können aber das Steuer herumreissen und uns, unseren Ängsten, Traumas, Erfahrungen und Mustern stellen. Wir müssen nur genau hinsehen, ehrlich zu uns selbst sein und das Ganze mit einer Prise Mut zusammenpacken und dann stehen die Chancen ziemlich gut. Die Chancen, dass das Leben sich bunt, frei und schön anfühlt und nicht mehr nach dem Überleben einer Endlosschlaufe.
Ich kann Euch versprechen – diese Ruhe, die sich im Innern ausbreitet, diese Liebe und Stärke, die Du für dich selbst fühlst, dieses Vertrauen in das Leben – dieses Gefühl ist unbezahlbar. Die Kreativität und die Intuition kehren zurück und du fühlst, dass all die schweren Konfrontationen mit dir selbst und deiner Vergangenheit, sich gelohnt haben.
Habt den Mut Euch euren Geistern aus der Vergangenheit zu stellen – sie sollten keinen Platz in der Gegenwart haben, wenn sie diese negativ beeinflussen. Habt den Mut, mit vergangene Zeiten Frieden zu schliessen und loszulassen.
Dieser Mutausbruch wird Euer Leben verändern!
Schluss mit Vermeidungsstrategien und Sicherheitsmassnahmen – es ist Zeit zu leben!
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