Warum stark & weich kein Widerspruch ist!
- rebeccakalina
- 22. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Vor kurzem bin ich über ein Kurzvideo mit dem Titel "Die Frauen, die hart werden mussten" gestolpert. Im Hintergrund war ein wettergegerbtes Gesicht einer älteren Frau, die mit wahnsinnig ausdrucksstarken Augen in die Kamera blickte. Vielleicht war es dieser Blick, vielleicht der Titel, ich weiss es nicht genau, was mich dazu bewog, dass Video bis zum Ende zu schauen.
Und am Ende hatte ich am ganzen Körper Gänsehaut, mein Herz wurde gleichzeitig schwer und weich und für einige Minuten starrte ich ins Leere. Denn die Worte hatten mich wie kleine Nadelstiche getroffen.
Zusammengefasst lautete der Inhalt in etwa so:
Die Frauen die hart werden mussten, wollten nicht stark sein. Sie wollten weich bleiben – vertrauen, sich selbst sein dürfen - ohne zu viel zu sein oder für Fragen bestraft zu werden.
Sie wollten anlehnen, mussten jedoch das Steuer übernehmen, denn sie waren Töchter von Männern, die schwiegen oder schrien, von Frauen, die funktionierten, schluckten oder manipulierten.
Sie hatten gelernt, dass es einen Weg gibt, wenn man alles im Griff hat. Sie hatten gelernt immer und zu jederzeit alles und jeden im Blick zu haben. Vor allem sich selbst.
Sie wurden nicht hart, weil sie es wollten, sie wurde hart, weil sie die Überforderung, die Angst und die Unsicherheit sonst nicht ertragen konnten. So spielten sie ihr Spiel und vermittelten, übersetzten, trösteten und performten, dabei setzten sie sich selbst immer an die letzte Stelle.
Eine Last, die eine gewisse Härte erforderte. Eine Härte die auf den ersten Blick wie ein Panzer wirken mag, jedoch Vernarbungen sind, unter denen vergessene Träume und verlorene Sehnsüchte schlummern. Die Frauen, die hart werden mussten, leiden leise und sind stark, bis der Moment kommt und sie sich ihren Narben stellen. Sie stellen fest, dass nicht sie falsch waren – sondern die Tatsache, dass sie vergessen hatten loszulassen.
Dass sie zu früh, zu stark sein mussten und dies zu lange. Und dass es nun an der Zeit wäre, das Leben zu leben und nicht nur zu überleben. Der Weichheit Platz einzuräumen und loszulassen.
"Denn sie haben es verdient, die, die nie aufhören wollten zu lieben, auch wenn niemand kam."
Dies war das Schlusszitat des Videos und gerade dieser eine Satz, jagte mir einen besonderen Schauer über den Rücken.
Genau vor solchen Menschen habe ich den grössten Respekt, die, die durch dunkle Zeiten mussten und dennoch nie ihre Liebe verloren. Menschen, die es nicht einfach haben und dennoch alles geben. Helfen, obwohl sie kaum selbst helfen können.
Und irgendwie fand ich mich selbst, auch in diesen Worten wieder.
Ich weiss, was es heisst, ständig und immer das Gefühl zu haben, den Überblick nicht verlieren zu dürfen und die Situation im Griff haben zu müssen. Auch wenn mein rationales Hirn immer schnell registrierte, welche davon überhaupt von mir beeinflusst werden konnten, fühlte ich mich lange für Vieles verantwortlich. Ich blieb in Momenten stark, in denen ich innerlich zerbrach. Ich lernte zu überleben, ich lerne Strategien, ich lernte stark zu sein.
„Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“
Ja, dieser Satz klingelt mir noch in den Ohren und ja, ich wollte keinen Schmerz fühlen. Denn der hätte mich in die Knie gezwungen und auch im Nachhinein bin ich überzeugt, es war die einzige Möglichkeit – stark zu sein.
Aber nie mein einziger Charakterzug, denn genau so sehr sehnte ich mich nach Sicherheit, nach loslassen können, nach durchatmen. Die Verantwortung abgeben zu können.
Und an der Stelle sei gesagt, dies ist die Geschichte aus meiner Sicht. Wieviel und welche Verantwortung ich effektiv übernehmen musste, ist vielleicht auch eine Frage der Perspektive. Und dennoch, ich war in diesem Gefühl, «stark sein zu müssen» sehr lange gefangen. Als Kind, als Teenager, als Tochter, als Frau, als Mensch.
Bis ich lernte das Liebe Sicherheit bedeuten kann! Dass die Sicherheit mich weich werden lässt, dass Loslassen ein wundervolles Gefühl ist und Stärke nicht die Lösung für alles ist. Und ja, dieser Prozess ist definitiv kein Zuckerschlecken. Es ist eher eine Achterbahnfahrt der Gefühle, ein Tanz durch die Vergangenheit und keinesfalls ein einmaliger Prozess.
Aber als ich die Angst vor der Weichheit überwand, entdeckte ich das Geschenk darin. Denn die Weichheit liess meine Intuition lauter werden, sie liess mich bessere Entscheidungen treffen und brachte mich näher zu mir!
Es brauchte diese eine Begegnung, diese eine Beziehung und plötzlich änderte sich alles. Wo früher Härte und Beherrschung waren, entstand Weichheit, Nähe und Sicherheit. Dinge die früher an mir abprallten, schlugen plötzlich durch die halboffenen Türen. Die Gefühlswelt schwankte zwischen «Ich kann alles allein und brauche niemanden» und «Hilfe – ich bin allein total verloren». Gerade wer mich kennt, würde mich als selbstbewusst, unabhängig und stark bezeichnen. Wie oft dies jedoch einfach mein Schutzschild, meine Fassade, meine Rolle war - bemerkten die Wenigsten.
Jedoch durfte ich jetzt feststellen, dass meine "Weichheit" im Gegensatz dazu nun bemerkt wurde. Veränderungen in der Sprache, dem Ausdruck, in Gedankengänge und der Haltung - fielen auf. Ich empfand diese Rückmeldungen als sehr spannend, denn lange fühlte es sich für mich wie ein stressiges Abenteuer an.
Dieses Schwanken zwischen der absoluten Härte und dem Zustand kurz vor dem Schmelzpunkt, war definitiv eine Herausforderung. Denn auch nach dieser neu gefundenen Sicherheit, ergab das Leben Situationen in denen mehr Härte als Weichheit zum Ziel führte und andere wiederum, verlangten die pure Wahrheit ohne Narben und dem kalten Panzer.
Es dauerte eine Weile bis sich dieses Gefühl einpendelte, denn ich war schon immer mehr ein Mensch der Extreme – das „Mittelelding“ ist und bleibt für mich eine Herausforderung. So auch hier.
Gerade in diese Zeit ist es wichtig jemanden an seiner Seite zu haben, der Prellbock, Dummy und Spiegel sein kann und ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und die Liebe dieser einen Person, während dieser Zeit. Klar, irgendwie könnte man es sicherlich auch allein schaffen, jedoch muss man auf dem Weg raus aus der Härte, Weichheit zulassen und so auch die Nähe und Unterstützung von lieben Menschen. Und das machte mir eines klar:
Heilung ist ein Tanz und kein Zustand. Heilung entsteht durch erleben, ausprobieren und nicht aufgeben.
Die Härte verschwindet nicht von heute auf Morgen und schon gar nicht für immer. Denn diese Fähigkeit hat uns starke Frauen und auch Menschen jeglicher Art, ins Heute gebracht. Mehrheitlich wird jedoch die "Gefahr" von früher vorbei sein und es benötigt diese gelernte Stärke nicht mehr im gleichen Ausmass wie früher. Wir dürfen loslassen, Verantwortung abgeben und vor allen Dingen das Wort «Stärke» neu definieren. Stärke bedeutet auch den Mut zu haben loszulassen und beiden Seiten Platz einzuräumen.
Stark UND weich ist auf keinen Fall ein Widerspruch! Sondern eine perfekte Symbiose und ein Zeichen von Mut.
Deine Worte berühren tief und zeigen eindrucksvoll, dass wahre Stärke auch in der Weichheit liegt. Danke für diesen mutigen Einblick und die Erinnerung, dass beides nebeneinander existieren darf – und sogar muss.