Ich hab da mal ne Frage...
- rebeccakalina
- 14. Feb.
- 7 Min. Lesezeit
Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen. Jeder der auch auf dem Land aufgewachsen ist, weiss dass da das gegenseitige Grüssen, auch wenn man sich nicht direkt kennt, völlig normal ist, oder eben war. Dazu später mehr.
Als ich in der Schule war, gab es sogar einen separaten Vortrag zu diesem Thema, inzwischen sind die Dorfbewohner auch etwas entspannter geworden. Aber dass der Zerfall der Freundlichkeit sogar auf dem Land schon so weit fortgeschritten ist, musste ich tragischerweise bei meinem letzten Heimatbesuch feststellen.
In mehreren Situationen wo man zwischen zwei und vier Meter zwischen einander hatte, blieb es nach unserem Grüssen ruhig. Einfach mucksmäuschenstill. Meine Mum und ich schauten uns jedes Mal ganz überrascht und verdutz an. Das eine Mal standen wir drei Frauen gegenüber, die uns in die Augen schauten, ihren Mund jedoch nicht bewegten. Noch in Hörweite unterhielten wir uns darüber, ob wir vielleicht zu leise gesprochen hatten oder ob dies nun wirklich das neue «freundlich» ist. Keine Reaktion.
Ich lebe in Zürich und da ist diese Situation ganz normal, nur dass ich gar nie angefangen habe mir fremde Leute auf der Strasse zu grüssen. Im eigenen Wohnhaus war es auch einmal normal sich zu grüssen, da stelle ich jedoch das gleiche Phänomen fest. Ich konnte zuschauen, wie die letzten 7 Jahren, die Freundlichkeit und das nachbarschaftliche Sozialverhalten jährlich abnahm. Aber wie gesagt, in der Anonymität und der Schnelllebigkeit einer Stadt, LEIDER eine Normalität, an die man sich gewöhnt hat.
Klingt jetzt vielleicht doof, aber mich macht es traurig. Mich macht es traurig, dass der freundliche Umgang unter uns Menschen scheinbar immer mehr verschwindet.
Ich fand es immer so erfrischen auf meinen Heimatbesuchen von der Freundlichkeit der Thurgauer aufs Neue überrascht zu werden. Aber dieser spürbare Unterschied scheint zu schrumpfen. Da Reaktionen oft mit Erlebnissen aus der Vergangenheit verknüpft sind, überlege ich mir immer, was diese Person zu dieser «Rückmeldung» gebracht hat. Was dieser Mensch wohl erlebt haben mag oder ob es einfach ein schlechter Tag war. Ich habe mir dazu einige Gedanken gemacht und natürlich habe auch ich Begegnungen mit Menschen erlebt, dass ich zwischenzeitlich ganz auf das Zusammenleben mit dieser Spezies verzichten wollte.
Schlechte Erfahrungen allein können jedoch auf keinen Fall die alleinige Ursache dafür sein. Wir alle haben sie gemacht und machen sie höchstwahrscheinlich auch noch in Zukunft. Die Vermeidung jeglicher Konfrontation, und dies im neutralen Sinne gemeint, aller möglicher Berührungspunkte mit Menschen ist jedoch keine Lösung. Ich habs ausprobiert, wir Menschen sind soziale Wesen und müssen in Gemeinschaft leben. Zumindest ich brauche den Austausch.
Nun gut, zurück zum Thema.
Woher kommt diese ablehnende und negative Grundhaltung? Aus meiner Sicht gibt es keinen anderen logisch erklärbaren Grund jemanden nicht zurück zu grüssen. Jedoch versuche ich die Menschen immer zu verstehen und ihre Aktionen oder Reaktionen einzuordnen. Wie gesagt, ich kann mir schwer vorstellen, dass hier die Gründe nur in negativen Erlebnissen in der Vergangenheit des Einzelnen zu suchen sind.
Ist es vielleicht eher der Umgang mit diesen Erfahrungen? Haben wir vielleicht verlernt, wie wir mit Rückschlägen, schlechten Erfahrungen und physischen Verletzungen umgehen können?
Haben wir es je gelernt? Ist es eine Generationenfrage? Obwohl ich das sofort verneinen könnte, denn ich erlebe solche sozialunfreundlichen Begegnungen durch alle Altersschichten. Was ist passiert, dass wir scheinbar nicht mehr fähig sind, einen freundlichen und neutralen Umgang miteinander zu pflegen? Eine einfache und doch schwierige Frage, die sicherlich nicht abschliessend beantwortet werden kann. Jedoch hatte ich heute zwei spezielle Begegnungen, die mich nochmal auf das Thema, und zum Nachdenken gebracht haben.
Nach dem Mittagessen gedankenversunken auf dem Rückweg ins Büro, biege ich in eine Seitenstrasse und nach ca. der Hälfte dieser, überquere ich die Fahrbahn. Der Typ, der auf meiner Gehwegseite auf mich zukommt, registriere ich mit halbem Auge. Als ich mitten auf der Fahrbahn stehe, höre ich hinter mir ein Gemurmel und ziemlich gehässiges «Dann eben halt nicht…schon ok, wegen mir musst Du nicht die Strassenseite wechseln.» Ich drehte mich um und meinte schulterzuckend, dass dies nun mal mein Weg sei und er keinen Teil dieser Entscheidung. Stotternd entschuldigte er sich und meinte, er wollte mir sagen, wie sehr er meinen Style liebe und das Outfit der Hammer sei. Und er dachte, dass ich wegen ihm abgedreht hätte, da er cringe aussehe oder so. Natürlich mussten wir am Schluss lachen, es war keine grosse Sache, ich bedankte mich und ging ins Büro.
Auf dem Weg dachte ich aber, wie schade, dass dieser Typ scheinbar die Situation so negativ für sich erlebt und eingeordnet hatte. Und wie schnell die Perspektive über den Eindruck der Situation entscheiden kann. Ein paar Stunden später sollte sich eine sehr ähnliche Situation ereignen.
Ich war Blumen kaufen und verpackte diese gerade umständlich an der Theke, als mich eine Dame von der Seite ansprach. Sie wolle überhaupt nicht stören, würde gerne etwas sagen, aber es wäre auch einfach so und eben nicht falsch zu verstehen. Aber sie fände meinen Mantel ganz großartig. Ich sah sie mit einem Grinsen an und meinte;
«Vielen Dank, das ist doch ein schönes Kompliment und sowas darf man doch immer sagen!».
Sie fing auch an zu grinsen, entspannte sich sichtbar und meinte, dass dies eben heute nicht mehr so selbstverständlich sei, aber schön, dass ich dies so sehen würde. Wir quatschten dann noch kurz über den Hersteller und verabschiedeten uns dann fröhlich. Ich musste grinsen, weil es einfach ein schräger, aber auch lustiger Moment war und ich solche Begegnungen liebe.
Jedoch war mir sehr bewusst, dass ihre vorsichtige Art höchstwahrscheinlich auf Grund von Erfahrungen aus der Vergangenheit basierte. So schade.
In meiner Gedankenspinnerei überlegte ich kurz, was denn die übelste Reaktion auf ein schönes Kompliment sein könnte. Wie könnte jemand negativ auf ein ganz normales Kompliment reagieren? Wie geht das überhaupt? Jemanden der einem nette Worte sagt, negativ zu begegnen? Gerne hätte ich sie nun gefragt, was es denn war, was sie so vorsichtig werden liess.
Und irgendwie bin ich immer noch bei der Anfangsfrage.
Was zum Teufel ist, passiert, dass die Freundlichkeit ein immer rarer werdendes Gut zu sein scheint?
Da ich gerne meine eigenen Luftschlösser und Theorien baue, habe ich hier Meine versucht in Worte zu fassen.
Die Menschen sind mit sich und ihrem Leben überfordert. Diese Überforderung führt zu Unzufriedenheit mit sich und ihrem Leben. Oft unfähig etwas zu verändern, stecken sie fest und das Negative frisst sich immer mehr in ihren Alltag.
Der Alltag ist schnell, die Anforderungen hoch und das Leben eine Achterbahnfahrt auf Speed.
Alle Generationen stecken irgendwie in ihren Traumata fest, einige vielleicht auch gleichzeitig in Mehreren. Alle tragen noch Teile ihrer Elterngeneration mit und sind ebenso mit ihren Eigenen konfrontiert. Die Anforderungen an einen Menschen in unseren Breitengraden lasten für die einen schwer, da es sogar nicht ihr Weg oder ihre Vorstellung von Leben entspricht. Die persönliche Kommunikation wurde in diversen Bereichen mit der digitalen ersetzt. Worte werden durch Emojis deplatziert. Geschichten werden nicht mehr erzählt, sondern nur noch auf Instagramm gepostet. Wir verlieren den Kontakt zu unseren Mitmenschen und dabei meine ich eben nicht das oberflächliche Miteinander. Ich meine die Dinge, die uns wirklich im Leben beschäftigen. Sorgen teilen, die uns nachts nicht schlafen lassen. Gemeinsame Pläne, die wir schmieden, um dem Unglück zu entsagen. Themen, die wir nicht ins Internet stellen oder darüber eine Story machen.
Mit wem teilen wir diese Dinge?
Wenn wir nicht mehr kommunizieren, bleiben diese Themen bei uns und in uns. Ablenkung finden wir in unsern vielen Bildschirmen, die uns 24/7 beschallen und ablenken von unserem eigenen Leben. Wir machen Pläne für später dann, ohne fähig sie in die Tat umzusetzen und zu bemerken, dass dies alles Vermeidungsstrategien sind und wir uns eigentlich nur fürchten. Fürchten vor dem Scheitern, Angst vor dem Ungewissen und Ungewohnten. Viele verschliessen davor die Augen und haben Angst hinzusehen. Und so bleiben sie unzufrieden und tragen diesen Unmut irgendwann auch in ihr Umfeld und in die Gesellschaft. Völlig neutrale Situationen werden zu persönlichen Dramen und der Teufelskreis ist perfekt, wenn man denkt, es sei der einzige Weg. Es war halt schon immer so und die Kraft für Veränderung fehlt.
Wir können uns auch für den anderen Weg entscheiden und uns unseren Dämonen stellen, daran arbeiten und besser werden. Uns darauf besinnen was uns wichtig ist und dass wir das Sozialleben brauchen, um zu überleben. Aber eben nicht nur aus monetären oder erfolgstechnischen Gründen brauchen wir das Miteinander, nein sondern aus emotionaler und sozialer Sicht.
Wenn man sich dazu entscheidet, sich nicht seinen dunkelsten Seiten zu stellen, dann verdrängt man sie. Trinkt, arbeitet, raucht, schnupft sie weg. Vergräbt sie ganz tief in der Seele. Versucht sie zu vergessen und einfach weiterzumachen wie bisher. Das dunkle Grummeln verschwindet jedoch nie mehr, es ist nur manchmal ganz leise, bei genügend Ablenkung. Vielleicht bricht das Grummeln manchmal auch in einem Wutausbruch aus. Oder «nur» in patzigen Antworten.
Manchmal ist das Grummeln so laut, dass der Gang steif, das Gesicht verzogen und die Freundlichkeit verloren geht. Später ist das Grummeln vielleicht leiser geworden, jedoch hat der Körper die Erinnerungen tief abgespeichert.
Vielleicht in der Gegenwart für den Moment erledigt, jedoch nicht vergessen. Die Zellen haben die Angst, die Wut und die Unzufriedenheit abgespeichert.
Und die anfänglichen Wehwehchen werden im Alter zu zähen Krankheiten. Ein Leiden, dass Körper und Geist so lange in Beschlag nimmt, bis man hinschaut, an die Wurzel allen Übels. Es führt kein Weg drumherum. Eine Abkürzung gibt es nicht.
Wie gesagt, dass ist nur meine Theorie, die ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen, Begegnungen und Gesprächen über die Zeit zusammengesetzt habe. Ob sie stimmt? Wie wahr sie ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Absolut überzeugt bin ich davon, dass Menschen, die mit sich und ihrem Leben zufrieden sind, freundlicher und sozialer im Umgang mit anderen Lebewesen umgehen. Viele Alltagssituationen lockerer sehen, da sie Aktionen und Reaktionen nicht sofort negativ und persönlich konnotieren.
Die Verknüpfung zu ähnlichen Situationen, die etwas Negatives hinterliessen, ist gekappt.
Sie haben mit sich und ihrer Vergangenheit Frieden geschlossen und leben im hier und jetzt. Sie sehen was wirklich gerade und effektiv passiert und können dann aus einer neutralen Haltung heraus eine Entscheidung treffen. Und die Reaktion ist nicht direkt von der ersten Sekunde auf negative Erlebnisse abgepasst.
Nun gut, vielleicht ist meine Hypothese nicht nachweislich und eindeutig zu beantworten, da es ja oft auch eine Vielzahl von Gründen gibt, jedoch macht sie für mich Sinn und damit gebe ich mich erstmal auch als Antwort zufrieden.
Seid mutig da draussen – es ist eine wilde Zeit, in der es umso wichtiger ist, bei sich zu sein und seine persönlichen Werte hochzuhalten.
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